CHRISTOPHECHÉRIX
Sie befassen sich immer wieder mit
der Autoritätsfigur. Wie würden Sie diese im Kontext Ihrer
Bei der PerformanceAuthority Finger
behaupte ich beispielsweise, dass ich Autorität bewahre, in-
dem ich verschiedene Flüssigkeitsextrakte um eine Schutz-
hülle streiche, die ich über meinen Zeigefinger gestülpt
habe. Ich verweise damit auf die überall anzutreffende,
vieldeutige autoritäre Präsenz, die unerträglich ist, aber die
Welt, in der wir leben, wesentlich mitbestimmt. Von den
Matratzen an den Wänden des mamco Museums zum
Schutz von Demonstranten [Six Mattresses,1996,Anm. d.
Red.], bis zum Poster mit zweckentfremdeten Texten eines
Vereins der Freiwilligen Feuerwehr will ich Formen von
Autorität zum Ausdruck bringen, die in unserer Gesellschaft
schon völlig heimisch geworden sind. Jeder Bürger ist
potenziell eine Autoritätsfigur, weil jeder von uns mit der
gesellschaftlichen Ordnung haarfein verwoben ist. Ich will
besonders die weit verbreiteten, perversen Aspekte von
Autorität aufzeigen: die heldische Figur des freiwilligen
Feuerwehrmanns, Mikro-Gesellschaften wie Chöre,
Blasorchester und andere beliebte Zusammenschlüsse, die
militärische Lebensweisen reproduzieren.
CHRISTOPHECHÉRIX
Macht Sie das betroffen, dass sich
unsere Gesellschaft nicht der Vorstellung von Autorität
In gewisser Weise hat dies mich in meinem
Wunsch nach Verstellung in meiner Arbeit wie in meinem
alltäglichen Leben bestärkt. Ich will im Verborgenen
bleiben, nirgendwo registriert werden – nicht einmal am
Spielfeldrand. 1993 nähte ich mir selbst einen Tschador, den
ich für ein Foto trug. Der Tschador ist eine Maske und
provoziert eine gewisse Ratlosigkeit. Mit unseren Autos
reproduzieren wir auch eine Art von Tarnung. Aber absolute
Anonymität können wir nicht ertragen. Wenn sich unzählige
Frauen vor unserem westlichen Blick hinter einem Tschador
verbergen würden, brächten wir ihnen wahrscheinlich Num-
mernschilder an. Was die Vorstellung von Unterordnung
impliziert, ermöglicht gleichzeitig eine grössere Mobilität:
In Afghanistan benutzte man dieses traditionelle Kleidungs-
stück auch, um illegal Waffen zu transportieren.
Indem Sie Strukturen herstellen, die an Tri-
bünen bei Volksfesten, an Pulte und Podien erinnern, wollen
Sie scheinbar den Aspekt des Spektakels im täglichen Leben
Bei diesen Konstruktionen handelt es sich
eigentlich um Katalysatoren von Gruppenaktivitäten. Es
sind Elemente, die eine Veranstaltung im öffentlichen Raum
kennzeichnen: die Ansammlung einer Menschenmenge und
der Aufbau eines Spektakels. Sie weisen jedem seinen Platz
zu und legen seinen sozialen Status fest, bestimmen, wer
Spieler oder wer Zuschauer ist. Meist handelt es sich bei
diesen Konstruktionen um Leihgaben für irgendwelche
Veranstaltungen der Strassenbaukommission oder des Zivil-
schutzes, die der Veranstaltung bestimmte Verpflichtungen
aufbürdet oder sie zwingt, wieder einmal nur zu einem
offiziellen Anlass zu werden.
«Ouverture» – Fabrice Gygi im Gespräch mit Lionel Bovier und Christophe Chérix. In:
Flash Art Nr. 208, Sommer 1998.
GENTLEMAN’S
AGREEMENT, 2002
Performance an der
Biennale de Cétigné,
Montenegro
Bronze, Leder
und Feuer